Literatur: Gedichte

Sonstiges - Spiele - Spaß - Plaudereien
Zero

Beitragvon Zero » Do 8. Apr 2004, 10:30

[center]Grenzfall
(Eugen Roth)

Ein Mensch war eigentlich ganz klug
Und schließlich doch nur klug genug,
Um einzusehen, schmerzlich klar,
Wie blöd er doch im Grunde war.
Unselig zwischen beiden Welten,
Wo Weisheit und wo Klugheit gelten,
Ließ seine Klugheit er verkümmern
und zählt nun glücklich zu den Dümmern.[/center]

coepenicker

Beitragvon coepenicker » Mo 12. Apr 2004, 11:27

Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf daß er sich ein Opfer fasse, -
und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: "Pitschü!"
und hat ihn drauf bis Montag früh.

Christian Morgenstern

Zero

Beitragvon Zero » Sa 17. Apr 2004, 12:20

[center]Seelische Gesundheit
(Eugen Roth)

Ein Mensch frißt viel in sich hinein:
Mißachtung, Ärger, Liebespein.
Und jeder fragt mit stillem Graus:
Was kommt da wohl einmal heraus?
Doch sieh! Nur Güte und Erbauung.
Der Mensch hat prächtige Verdauung.
Ein Mensch erblickt das Licht der Welt-
Doch oft hat sich herausgestellt
Nach manchem trüb verbrachten Jahr,
Daß dies der einzige Lichtblick war.[/center]

Zero

Beitragvon Zero » Mi 21. Apr 2004, 10:24

[center]Herbsttag
(Rainer Maria Rilke)

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Allen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. [/center]

coepenicker

Die Liebe kommt und die Liebe geht

Beitragvon coepenicker » Mi 21. Apr 2004, 17:53

[center]Als sie sich 8 Jahre kannten
(man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie anderen Leuten Stock und Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse als ob nichts sei.
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. -
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Erich Kästner[/center]

Laura

Das Samenkorn

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 02:23

Ein Samenkorn lag auf dem Rücken,
die Amsel wollte es zerpicken.

Aus Mitleid hat sie es verschont
und wurde dafür reich belohnt.

Das Korn, das auf der Erde lag,
das wuchs und wuchs von Tag zu Tag.

Jetzt ist es schon ein hoher Baum
und trägt ein Nest aus weichem Flaum.

Die Amsel hat das Nest erbaut;
dort sitzt sie nun und zwitschert laut.

von Joachim Ringelnatz

:wall:

Laura

Mauerblümchen's Traum

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 02:30

Mauerblümchens Traum


Ein Mauerblümchen, Tag für Tag,
das keiner recht beachten mag,
fühlt sich so einsam und allein,
will nicht mehr Mauerblümchen sein,
sehnt sich so sehr ins satte Grün,
wo all die andern Blumen blühn.

Das Leben zwischen all den Steinen –
ob bunten, großen oder kleinen-
ist manchmal einfach schrecklich hart,
so träumt es sich auf große Fahrt.
Hinein ins bunte Blumentreiben!
Ach ja, hier will´s für immer bleiben.

Der leuchtende Herr Löwenzahn
sagt laut „Hallo!“ und strahlt sie an.
Frau Löwenmaul erzählt Geschichten
von ihren Enkeln und den Nichten.
Im lila Röckchen, voller Glanz,
lädt dann Frau Glockenblum zum Tanz.

Herr Mohn, der auch zu Gast im Haus,
klatscht rot vor Freude laut Applaus.
Das Mauerblümchen fühlt sich gut
und fasst zum ersten Mal den Mut:
spricht an den schönsten Blumenmann,
schenkt ihm ein Lächeln, dann und wann.

Diese Aura, solch Figur,
welch ein Wunder der Natur!
Kopf über Stiel verliebt sie sich
in diesen Blütenblumerich.
Und auch er – ganz hingerissen-
träumt schon von zarten Blumenküssen,

fasst sich ein Blumenherzelein
sagt „bitte, komm doch mit mir heim!“
Rot bis in die Blütenspitzen,
liebesfunkelnd an sich blitzend,
winken sie noch in die Runde
und tun ihren Abschied Kunde.

Das hübsche, kleine Vergiß-mein-nicht
winkt ihnen nach, weint fürchterlich.
Die Beiden aber, ganz im Glück,
gehn Blatt in Blatt, schaun nicht zurück.
Vor einer Mauer bleibt er stehn,
die hat sie doch schon mal gesehn...

Ganz zärtlich sagt er: „Komm doch rein
in mein liebs Mauerstübelein!“
Wie schön ist´s hier, sie glaubt es kaum,
und dann erwacht sie aus dem Traum.
Zufrieden lächelnd, voller Wonne,
streckt sie ihr Köpflein in die Sonne.

Susanne Albrecht
ist mir jetzt als Verfasserin bekannt
Laura
Zuletzt geändert von Laura am So 18. Jul 2004, 07:02, insgesamt 1-mal geändert.

Laura

Ein Mensch

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 02:44

Ein Mensch pflegt seines Zimmers Zierde,
Ein Rosenstöckchen mit Begierde.

Gießts täglich, ohne zu ermatten,
Stellts bald ins Licht, bald in den Schatten.

Erfrischt ihm unentwegt die Erde,
Vermischt mit nassem Obst der Pferde,

Beschneidet sorgsam jeden Trieb -
Doch schon ist hin, was ihm so lieb.

Leicht ist hier die Moral zu fassen:
Man muß die Dinge wachsen lassen!
Eugen Roth

:confused:

Laura

Der Löwenzahn

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 02:52

Im Frühling reckt der Löwenzahn
seine gezackten Blätter, ganz spontan

aus der Erde in einer Rosette.
Sein Stängel gewinnt jede Wette,

denn ohne viel Gezeter
sind's wirklich dreißig Zentimeter.

Für Menschen kein Vergnügen
ist seine Milch, ganz ohne Lügen.

Wer hat sich seinen Namen ausgedacht?
Löwenzahn darüber lacht!

Seine Blüte wird jetzt zweifelsohne
eine wunderschöne goldene Krone.

Das gelingt ihm nach kurzer Zeit,
er taucht die Wiese in ein gelbes Kleid.

Entwickelt sich noch zum Ruhme
zur vielgeliebten Pusteblume.

Kinder blasen sie so gerne
Über die Wiese als kleine Sterne

Der Same hängt an fliegenden Schirmchen,
weht über Häuser und Türmchen.

Ungestüm in wildem Tanze
Verbreitet sich so, die Löwenzahnpflanze.

Doch endet der Löwenzahn dummerweise
für die Kuh als Götterspeise!

Eigenkreation
:anbet: :anbet: :anbet:

Laura

Frühling still erwacht Haiku

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 07:28

Frühling still erwacht
Natur zaubert voll Liebe
Ein kleines Lächeln


:idee:

Laura

Re: Frühling still erwacht Haiku

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 07:29

Laura hat geschrieben:Frühling still erwacht
Natur zaubert voll Liebe
Ein kleines Lächeln


:idee:





Ein Haiku:
japan. Gedichtsform
Naturereignis

1.Zeile 5 Silben
2. " 7 "
3. " 5 "

Laura

Der Kuckuck

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 07:33

Der Kuckuck

Ein frecher Kuckuck denkt "au wei!"
Wo disponier ich nur mein Ei?
Das Nest soll gut und sicher sein,
Noch dürfen keine Jungen schrei'n;
Doch um das Ei gut zu bebrüten
Muss man sich auch vor Leerstand hüten.
So dreht er rufend seine Runden
Um einen Brutplatz zu erkunden.
An einer alten Eiche Stamme
Entdeckt er schließlich Nest und Amme.
Die Eier fest noch in der Hülle
Umgeben von der Daunen Fülle;
Ein Plätzchen - wie für ihn gemacht,
Dem Tier das Herz im Leibe lacht.
Er plustert glücklich sein Gefieder,
Umkreist den Nistplatz immer wieder
Und setzt sich dann beharrlich stur
Unweit in Warte-Positur.
Ein Kurzflug von der Frau Mama,
Und "schwupp", schon ist der Kuckuck da.
Er manövriert mit List und Tücke
Das falsche Ei in eine Lücke.
Sieht's auch nicht ganz identisch aus,
Der Vogel macht sich nichts daraus.
Für ihn zählt es die Brut zu mehren,
Das Junge wird sich später wehren.
So scheint zunächst das Ei behütet
Und wird getreulich mitbebrütet.
Jedoch der Trug kommt plötzlich raus
Und mit dem Kuckuck ist es aus.
Ein Singvogel in blinder Wut
Bemerkt im Nest Schmarotzer-Brut.
Das will ihm keineswegs gefallen,
Er packt das Ei mit scharfen Krallen,
Durchspießt es spitz mit seinem Schnabel
Wie die Kartoffel mit der Gabel.
"Scher' Dich zum Kuckuck!" ruft er aus
Und wirft das Ei zum Nest hinaus.
Hört die Moral von der Geschicht:
Ein Kuckucksei versteckt man nicht!
Hochmut kommt hier wie überall
Gepaart mit Leichtsinn vor dem Fall.
Wo gestern noch das fette Leben
Kann morgen schon der "Kuckuck" kleben.
Annelore Stoboy





:anbet:

Laura

Re: Der Kuckuck

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 07:39

Der Kuckuck und der Esel,
die hatten einen Streit,
wer wohl am besten sänge,
zur schönen Maienzeit
Der Kuckuck sprach: „Ich kann es!"
und fing gleich an zu schrei’n.
„Ich aber kann es besser!",
Das klang so schön und lieblich,
so schön von fern und nah.
Sie sangen alle beide,
Kuckuck, kuckuck,
i-a! Kuckuck, kuckuck, i-a!
Zuletzt geändert von Laura am Sa 24. Apr 2004, 03:57, insgesamt 1-mal geändert.

Laura

Beitragvon Laura » Do 22. Apr 2004, 07:43

Kuckuck! Kuckuck!
Ruft's aus dem Wald.
Lasset uns singen,
Tanzen und springen!
Frühling, Frühling
Wird es nun bald
Kuckuck! Kuckuck!
Lässt nicht sein Schrei'n.
Kommt in die Felder,
Wiesen und Wälder!
Frühling, Frühling,
Stelle dich ein!
Kuckuck! Kuckuck!
Trefflicher Held!
Was du gesungen,
Ist dir gelungen:
Winter, Winter
Räumet das Feld!
Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874

Zero

Re: Der Löwenzahn

Beitragvon Zero » Do 22. Apr 2004, 09:50

Laura hat geschrieben:Im Frühling reckt der Löwenzahn
seine gezackten Blätter, ganz spontan

aus der Erde in einer Rosette.
Sein Stängel gewinnt jede Wette,

denn ohne viel Gezeter
sind's wirklich dreißig Zentimeter.

Für Menschen kein Vergnügen
ist seine Milch, ganz ohne Lügen.

Wer hat sich seinen Namen ausgedacht?
Löwenzahn darüber lacht!

Seine Blüte wird jetzt zweifelsohne
eine wunderschöne goldene Krone.

Das gelingt ihm nach kurzer Zeit,
er taucht die Wiese in ein gelbes Kleid.

Entwickelt sich noch zum Ruhme
zur vielgeliebten Pusteblume.

Kinder blasen sie so gerne
Über die Wiese als kleine Sterne

Der Same hängt an fliegenden Schirmchen,
weht über Häuser und Türmchen.

Ungestüm in wildem Tanze
Verbreitet sich so, die Löwenzahnpflanze.

Doch endet der Löwenzahn dummerweise
für die Kuh als Götterspeise!

Eigenkreation
:anbet: :anbet: :anbet:

:zustimm: :zustimm: :zustimm:

Besonders das Ende gefällt mir. :D

[center]Immer falsch
(Eugen Roth)

Ein Mensch - seht ihn die Stadt durchhasten! -
Sucht dringend einen Postbriefkasten.

Vor allem an den Straßenecken
Vermeint er solche zu entdecken.

Jedoch, er bleibt ein Nicht-Entdecker
Dafür trifft fast auf jedem Fleck er

Hydranten, Feuermelder an,
Die just er jetzt nicht brauchen kann.

Der Mensch, acht Tage später rennt
Noch viel geschwinder, denn es brennt!

Doch hält das Schicksal ihn zum besten:
An jedem Eck nur Postbriefkästen! [/center]


Zurück zu „Freie Diskussionen“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 40 Gäste